Wienerbergersiedlung

Unser Weltdorf in der Stadt

 

Vorwort

Wir haben uns alle für diese Siedlung entschieden, wir wollen hier leben. Für Jeden gibt es einen speziellen Reiz in dieser Siedlung. Für den Einen ist es das viele Grün und die kleinen Gärten, für den Anderen das Konzept der autofreien Siedlung oder die „Spielräume“ für die Kinder, die Kontakte gedeihen lassen. Wir fühlen uns hier wie in einem Dorf zuhause – und das mitten in einer großen Stadt.

Unsere Wienerbergersiedlung wurde mit großer Umsicht für Begegnungs- und Erschließungsräume, feinem ästhetischem Gespür und dem Willen, Bebauung und Natur harmonisch zu verbinden, von den international renommierten Architekten Ralph Erskin/ Schweden und Hubert Rieß/Graz geplant. Etliche Publikationen – auch in internationalen Magazinen – und ein Architekturpreis 1988 bezeugen die Güte des Bauprojekts Wienerbergersiedlung. Dieser besondere Charakter und das farbig-heitere Bild unserer Siedlung sollten im Sinne der Gemeinschaft der Bewohnerinnen und Bewohner gewahrt bleiben.

Es ist uns ein Anliegen, die architektonischen Intentionen und baukünstlerischen Charakteristika dieser Siedlung aufzuzeigen und die Leistungen des Architekturkonzepts sichtbar zu machen. Dabei soll der Blick auf die Fülle von – man möchte fast sagen – liebevoll ausgestalteten Details gelenkt werden, die zusammengefügt das von allen meist diffus wahrgenommene Besondere unserer Siedlung ausmachen. Welche Überlegungen und Elemente sind dafür ausschlaggebend, dass wir hier eine so hohe Lebens- und Wohnqualität vorfinden?

Seit dem Erstbezug 1992 wurde bereits vieles verändert, umgestaltet oder renoviert. Allfällige Adaptierungen und Erweiterungen sollten jedoch keine zu großen Eingriffe in die ursprüngliche Ordnung bringen, um das Gesamtbild der Siedlung nicht zu stören bzw. zu zerstören.

Es ist in jedem einzelnen Fall zu prüfen, wie weit sich eine allfällige Änderung dem Gesamtbild anpasst und unter welchen Bedingungen sie davon zu stark abweicht. Dies ist sehr oft eine Gefühlssache und schwer zu beurteilen. Es gibt jedoch einige Richtlinien, die vom Architekten vorgegeben wurden.

1      Baugeschichte

Das von der ÖWGES betriebene Projekt Wienerbergersiedlung wurde im Rahmen der politischen Initiative MODELL STEIERMARK errichtet. Den Wettbewerb gewannen der britisch-schwedische Stararchitekt Ralph Erskin und sein Grazer Kollege Hubert Riess. Ralph Erskin gilt als Wegbereiter einer bewusst an den Bedürfnissen des Menschen ausgerichteten Architektur, die bei ihm stets unter Einbeziehung der späteren Nutzer entstand.

Das Büro Riess/ Graz betreute auch die Detailplanung und die Bauausführung. Architekt DI Michael Neuwirth war der Ansprechpartner für den Bauabschnitt II. Dass daraus ein partizipativer Wohnbau entstanden ist, hatte mehrere Gründe. Einerseits lag es am Zeitgeist, der sich im innovativen Konzept des MODELL STEIERMARK, Bereich Wohnbau, bereits manifestiert hat, andererseits am rührigen Bauausschuss, der die Mitsprache der zukünftigen BewohnerInnen sehr stark ins Spiel gebracht hat.

2      Architektonisches Konzept

Die Architektur und die Anlage der Siedlung orientieren sich am Typ der Mittelmeerstadt bzw. der mediterranen Städtebauweise. Charakteristisch dafür ist eine verwinkelte Struktur mit vielen kleinen Gassen. Großen Haupt- und Einfallsstraßen fehlen, dafür findet man aber einen zentraler Platz (Hauptplatz) und weitere kleine Plätze, die als Treffpunkt für die Bewohner und als Spielplatz für die Kinder dienen.

Unsere Siedlung wurde ausdrücklich vom Verkehrskonzept her entwickelt und sieht daher überschaubare und zugehörigkeitsstiftende Quartiere sowie Verbindungswege vor. Diese sollten zur Kommunikation und zur Bespielung einladen. Es kreuzen sich die Wege und damit die zu Fuß gehenden Personen. Das Gefühl der Anonymität, wie in den „Bettenburgen“ der Satellitenstädte mit Tiefgarage und Lift sollte nicht aufkommen!

Aus anderen architektonischen Traditionen wurden verschiedene Elemente aufgenommen und geschickt miteinander verschmolzen: Das farbig gestrichene Holz und auch die flache Dachneigung sind typisch für skandinavische Häuser. Auch der ebenerdige Zugang zu den Gärtchen wurde den Nordeuropäern abgeschaut. Im österreichischen Wohnbau überwog in den 90er Jahren noch das Hochparterre!  Häuschenförmige Dachterrassen bzw. Dachaufbauten kann man in einigen Mittelmeerstädten finden, z.B. in Piran.

3      Elemente der Architektur

3.1      Teich

Zum Platz hin ist der Teich kantig, gedacht als städtisches Element, das für Spiegelung und Weite sorgt. Der Vergleich zu den Wasserbecken vor den barocken Schlössern wie dem Belvedere ist durchaus angebracht!

Nach hinten hin ist der Teich abgerundet und soll nahtlos in die Naturlandschaft übergehen, die sich bis hinauf in den Wald erstreckt.

Der Teich wurde so geplant, dass er am Beginn flach (40 cm) ist und langsam in die Tiefe geht bis maximal 1,5 m. Die Umzäunung war ein Wunsch der Eigentümer.

2009 wurde der Teich saniert mit einer Teichfolie als Sicherheitsschichte; Lehm und Folie sollten ein Zusammenspiel ergeben, das unzerstörbar ist.

Die Teiche der Siedlunginkl. der 4 Waldteiche dienen als Retentionsbecken. Sie sind als System von Rückhaltebecken angelegt. Die Teiche sind miteinander durch Kanäle und Rohre verbunden. Der Durchfluss von einem Teich zum nächsten muss gewährleistet sein. Der Teich in der Siedlung ist der letzte von fünf Teichen und im Gegensatz zu den anderen künstlich ausgestaltet. Das gesamte System ist auf das 100jährige Niederschlagsereignis ausgerichtet.

3.2      Dorfplatz

Wir haben einen Dorfplatz, der an die traditionelle steirische Siedlungsform des Angerdorfs) anschließt. Die Dorflinde ist in dreifacher Ausführung vorhanden! Der Dorfplatz sollte das kommunikative Herz der Siedlung sein, seine Gestaltung zum Verweilen und Spielen einladen.

Hier befindet sich das einzige Geschäftslokal, das der Firma Sorger gehört. Das Kaffee sollte Treffpunkt sein, zum Verweilen einladen und die Kommunikation fördern.

3.3      Innenräume und Fenster

Französische Fenster brechen die Wand auf und erzeugen Weite. Die Sockel der französischen Fenster und des großen Wohnzimmerfensters geben Abgrenzung und somit das Raumgefühl der Geborgenheit nach innen.

Überraschende Aus- und Einblicke bescheren die zahlreichen, oft ungewöhnlichen Fensterformate und Erker. Auch in den Innenräumen gibt es Glaselemente zur Abtrennung der Räume! Das gibt den Wohnungen einen luftig-leichten, sonnendurchfluteten Charakter.

3.4      Dachterrassen

Um Statik und Ästhetik in Einklang zu bringen, wurde sehr lange daran gearbeitet, die richtige Schräge der Säulen und des Flugdaches zu erlangen; auch hier sollte sich der Ausdruck der Leichtigkeit fortsetzen.

Sollte es Änderungen der Terrassen geben dann ist auf diese Schräge der Säulen besonders zu achten.

3.5      Farbkonzept

hellgrau
Weiß/ hellgrün
Weiß/gelb
Hell-dunkelblau/grau
Weiß/hellblau

Besonders ansprechend ist die harmonische Farbgestaltung der Siedlung. Das kommt nicht von ungefähr, denn mit der Farbgestaltung wurde eine anthroposophisch orientierte Künstlerin betraut: Frau Klose (Gattin des bekannten Architekturprofessors Josef Klose).

Einige Facetten: Es überwiegen harmonisch zusammengefügte gebrochene warme Farben, ergänzt von kühlen Blau- und Weißtönen.

Der Jonny, das lange hohe Gebäude im Bauabschnitt I, ist zum Wald hin mit dunklen Farben versehen. Zur Mitte hin wird es heller und freundlicher; die warmen Erdtöne erinnern an den ursprünglichen Zweck der Siedlung und an das Material des Bodens: Lehm für die Wienerberger Ziegel!

Besonders feinfühlig wurde mit dem Weiß, das für den hellen Charakter der Siedlungsmitte verantwortlich ist, umgegangen. Man findet keine reines hartes Weiß, sondern Nuancen: leicht rosa, gelblich, grau-blau …

Farbe der Hausmauern: verschiedene Weißtöne, von hell bis mittelgrau ockergelb, ziegelrot …

Farbe der Holzflächen: dunkelbau, hellblau, türkis, ziegelrot, gebrochenes Weiß …

Farbe der Jalousien: weiß –einheitlich vorgegeben.

Farbe der Balkone: abwechslungsreich und nicht eintönig – zur Hausmauer passend!

Der Effekt dieser ausgeklügelten Farbgestaltung ist, dass das Auge eine sanfte Abwechslung erfährt und die Siedlung einen lebendigen Charakter erhält, der auch typisch für harmonisch gewachsenen alte Städte und Dörfer ist. Das einheitliche Farbkonzept, das paradoxerweise auf einer Vielfalt von Farben und Abtönungen beruht, scheint eines der Geheimnisse für die Wohnlichkeit und Behaglichkeit der Siedlung zu sein.

Empfehlung: Bei Renovierungsarbeiten auf die vorgegebene Farbgestaltung achten. (Ein Farbenplan wurde vom Verein MITEINANDER zusammengestellt und befindet sich auf der Homepage oder kann bei uns angefordert werden) Balkongeländer soll die ursprüngliche Farbe und Struktur behalten.

3.6      Stiegen und Aufgänge

Die Stiegen zu den Wohnungen im 1. Stock sind als Freitreppen geplant – ohne Verbau darunter, um die Leichtigkeit der Architektur zu bewahren. Die Geländer sind durchgestaltet: Sprießel und gelochte Platten, welche die Schräge widerspiegeln und eine abgrenzende Funktion haben.

DerHandlauf bei der Treppe im Quartier II ist durchgestylt. Das massive Gitter bei den Postkästen wurde nachträglich angebracht, um die Kinder zu schützen.

3.7      Privatgärten

Die Erdgeschoßwohnungen im 2. Quartier sind so geplant, dass nach vorne hin die Terrassen erhoben, dadurch von unten nicht einsichtig sind, damit sollte die Privatsphäre bewahrt bleibt. Die Eingangsseite sollte ohne Einfriedungen bleiben. Das sollte für optische Weite sorgen und Offenheit signalisieren. Auch mehr Platz zum Spielen für die Kinder hätte dies bedeutet.

3.8      Gemeinschaftsraum in Quartier II

Die Wohnung im Haus 39/46 über den Briefkästen war als Freifläche bzw. Gemeinschaftsraum geplant. Neben der Idee der Offenheit und Luftigkeit stand auch das Praktische im Vordergrund: ein überdachter Spiel-, Arbeits- und Kommunikationsraum, der zum Wäschetrocknen genauso taugte wie fürs Tischtennisspielen oder für private Wartungs- und Reparaturarbeiten.

Die Entscheidung für eine Umwandlung in eine Wohnung traf der Bauausschuss (laut ÖWGES), dieser stimmte mit 1:4 dieser Umwidmung zu (inoffiziellen Stimmen zufolge, sollte dies nicht fair abgelaufen sein).

3.9      „Tote“ Wand

Dieses Element kommt aus der chinesischen Gartenarchitektur, die Räume schafft. Der „Durchzug“ wird durch die Mauern unterbrochen, ein Hofcharakter kann entstehen. Ursprünglich Beton, ohne Anstrich.

3.10   Galeriecharakter der Abstellräume

Wie in den südländischen Städten ergibt sich durch die Überdachung des Vorplatzes vor den Abstellräumen eine Galerie (Säulengang). Sehr praktisch für diverse Arbeiten im Freien! Ebenfalls die Plätze fürs Wäschetrocknen!

3.11   Waschhäuser

Sollten auch die Funktion als kommunikative Zentren übernehmen. Die Idee kommt aus Skandinavien.

3.12   Zäune und Abgrenzungen

Wegen Geldmangel hat man – im Gegensatz zum 1. Bauabschnitt – auf gemeinsame Zäune verzichtet, deswegen gibt es so viele unterschiedliche Zäune und die Tendenz, mehr Bereiche einzufrieden als ursprünglich angedacht. Keine Einheitlichkeit!

Parterrewohnungen: Die überdachte Fläche zwischen Mauer und Rasen war ursprünglich mit Rollschotter versehen. Die Steine wurden als ein architektonisches Element eingesetzt und sollten die Abgrenzung markieren.

Empfehlung siehe 18.9.1983: Wird ein Zaun errichtet, muss außen der lebende Zaun und innen der Maschendraht gesetzt werden. Die Begrenzung soll nicht höher als 80 cm sein und transparent errichtet werden. Von geschlossenen Holz- oder Glaswänden ist abzuraten. Einfriedungen zu den Nachbarwohnungen bedürfen unbedingt der schriftlichen Zustimmung des betreffenden Nachbarn.

3.13   Wegegestaltung

Wegen Geldmangel wurde Asphalt aufgetragen, kombiniert mit Grasgittersteinen. Geplant war ein aufgerauter Beton, dieser sollte mit Moos bewachsen werden und damit eine gewisse Natürlichkeit bekommen (siehe Bauabschnitt I).

Oberflächen: Die Wege von Wasser frei zu halten gestaltete sich wegen des Lehmbodens schon immer schwierig, Die Dränagen wurden zu Beginn vergessen und zum Teil nachträglich gebaut.

Drainage: Wasser geht nicht in den Kanal, da es nicht erlaubt wurde, sondern in den Teich (Protokoll 1994).

Empfehlung: Bei der Neugestaltung der Wege sollte man auf ein möglichst natürliches Material zurückkommen.

3.14   Müllplätze

Auf das Müllhaus in Quartier II wurde ursprünglich vergessen. Eine Überdachung war nicht vollkommen möglich, da die Baudichte damit überschritten worden wäre.Es dürfen die Bewohner des Abschnittes II alle Müllplätze benützen! Nicht quartiersspezifisch! Ist ein Mülleimer voll, soll zum nächsten in unserem Abschnitt II gegangen werden!

3.15   Bepflanzung

Die Bäume bei der Garage wurden gesetzt, um einen Schatten für das Blechdach und somit für die parkenden Autos zu erreichen.

Ein Großteil der Bäume wurde von der ÖWGES gesetzt.

Dieser Text wurde gemeinsam von Gundula Langenecker und Mag. Andrea Moser-Pacher im Sommer 2016 verfasst.